I. König (Hrsg.): Lucius Ampelius, Liber memorialis

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Titel
Lucius Ampelius, Liber memorialis. Was ein junger Römer wissen soll. Lateinisch und Deutsch


Herausgeber
König, Ingemar
Reihe
Texte zur Forschung 94
Erschienen
Anzahl Seiten
150 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Frankfurt am Main

Die Informationsverarbeitung und -bereitstellung in Listenform ist ein Phänomen, das zeitenübergreifend die westlichen Gesellschaften auszeichnet und deren Identität prägt. Leider in ihrer kulturgeschichtlichen Dimension noch kaum erforscht1, ist die Einbettung dieser überall greifbaren Datenstruktursammlungen in den politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder allgemein kulturellen Kontext auch für die Altertumswissenschaften interessant, bietet diese Perspektive doch Ansätze, das ansonsten oft spröde Material zum „Sprechen“ zu bringen. Dies gilt auch für die Wissenssammlung des L. Ampelius, der in der Römischen Kaiserzeit ein Lehrbuch mit ausgewählten Informationen zur Kosmologie, Geographie, griechisch-römischen Mythologie und Geschichte verfasste und dessen Werk Ingemar König erstmals in einer lateinisch-deutschen Ausgabe mit Einleitung und erläuterndem Kommentar vorgelegt hat.2

Zunächst einmal scheint das Opus beim ersten Lesen kaum der Überlieferung wert gewesen zu sein, reihen sich doch banale Informationen wie die Nennung der vier Himmelsrichtungen an Erklärungen zu den Sternbildern, Listen geographisch geordneter Wunderstätten oder chronologische Verzeichnisse von Herrschergeschlechtern verschiedener antiker Kulturen, sie bilden so ein dichtes, jedoch keineswegs vollständiges Informationsgerüst über den griechisch-römischen Kulturraum. Erst durch die Kontextualisierung der Schrift, wie sie König in der Einleitung (S. 7–23) vornimmt, erhält diese dann die nötige kulturwissenschaftliche Würze, um daraus tatsächlich einen Gewinn ziehen zu können. König zeigt auf, dass diese Listenform durchaus Sinn hat und die Vermittlungsstruktur von Wissen in der Kaiserzeit eindrücklich abbildet.

Die wesentlichen Informationen über Werk, Verfasser und Adressat liefert der kurze Prolog der Schrift. Leider sind sowohl der Autor L. Ampelius als auch der Adressat Macrinus nicht weiter zu identifizieren. König zeigt jedoch auf, was die bisherige Forschung an Rekonstruktionen versucht hat (S. 7–10): So führe die bereits vom Humanisten und Manuskripteditor Salmasius vorgenommene Identifizierung des L. Ampelius mit einem bei Sidonius Apollinaris genannten Autor gleichen Namens nicht weiter, da es sich beim Liber memorialis nicht um die von Sidonius Apollinaris gepriesene hohe Schreibkunst handele. Ebenso seien alle Lokalisierungsversuche, die aufgrund schriftimmanenter Hervorhebungen von bestimmten Orten, allen voran das mauretanische Iol/Caesarea, Rückschlüsse auf den Entstehungsort ziehen wollten, zum Scheitern verurteilt. Skeptisch ist König auch bei der Identifizierung des Adressaten Macrinus mit dem späteren Kaiser M. Opellius Macrinus (217–218), obwohl dessen Herkunft aus dem mauretanischen Caesarea sowie dessen in der Historia Augusta erwähnten Bildungsversuche nur allzu gut zur Anlage des allerdings mit zahlreichen Ungereimtheiten gespickten Werkes passen würden.

In der Frage der Datierung des Liber memorialis vertritt König dann (S. 10–13) einen späten Ansatz, das Werk sei erst in der Spätantike entstanden. Gegen die von Marie-Pierre Arnaud-Lindet aufgestellte These einer Abfassung im 2. Jahrhundert n.Chr. macht er zu Recht darauf aufmerksam, dass sowohl der terminus post quem mit der Nennung von Trajans Taten (sowie Anspielungen auf Hadrian) als auch die Nichtnennung bestimmter bedeutender Ereignisse aus der Zeit der Severer keine Beweiskraft für eine Datierung in die Mitte des 2. Jahrhunderts n.Chr. entfalten können. Jedoch kann König selbst seinen spätantiken Datierungsvorschlag mit Hinweis auf die zahlreichen sachlichen Fehler in der Schrift sowie auf eine allgemeine Tendenz dieser späten Zeit, kurzgefasste Lehrbücher zu verfertigen und vermehrt auf die exempla der Römischen Republik zurückzugreifen, lediglich plausibel machen.

So wenig über die Umstände der Entstehung der Schrift bekannt ist, so rätselhaft ist auch deren Überdauern, was König in einem kurzen Abschnitt zur Überlieferungsgeschichte (S. 13f.) darstellt: Das Originalmanuskript, das um 1618 dem Humanisten François Juret im Zuge der Drucklegung durch Salmasius zufiel, ist verloren; eine erhaltene Münchener Manuskriptkopie mit drei verschiedenen Handschriften lässt so lediglich einige wenige, wenn auch wieder einmal nicht beweisbare Hypothesen über die Überlieferungsgeschichte zu.

Bezüglich des Inhalts des Liber memorialis arbeitet König zunächst die Quellen heraus, auf die sich Ampelius gestützt haben mag (S. 16). Neben sehr vielen ungewissen Passagen dürfte Ampelius bezüglich der republikanischen Geschichte Roms so direkt oder indirekt auf Cornelius Nepos und C. Sallustius Crispus zurückgegriffen haben. Bei der Beschreibung des Zodiakus ist hingegen sicher die direkte Benutzung eines fragmentarisch erhaltenen Werkes des Nigidius Figulus nachzuweisen, dessen Fragmente König im Anhang in lateinischer Fassung mit deutscher Übersetzung bietet (S. 137–147). Hernach charakterisiert König kurz den Aufbau und Inhalt des Liber memorialis und arbeitet deutlich die schulhandbuchartige Struktur der Sammlung heraus (S. 16–22). So kann er zeigen, dass der Aufbau einer Wendung vom Äußeren der Welt (Welt, Himmel und Sternbilder) hin zum Inneren (Weltwunder, Götter, politische Geschichte und Systematik) folgt und innerhalb dieser Grobgliederung jeweils listenartig geordnet ist. Ebenso stellt er den systematischen ersten Teil (Kapitel 1–23) dem „unsystematischeren“ zweiten Teil (Kapitel 24–50) gegenüber, was er der Benutzung von Vorlagen im ersteren und der freien Bearbeitung im letzteren Falle zuschreibt. König kommt zu einer Gesamtcharakterisierung des Werkes als Abfragekatalog im schulischen Gebrauch, der weniger vernetztes, denn Faktenwissen sammeln sollte. Ein Verzeichnis der Textausgaben sowie grundlegender Forschungsliteratur zum Liber memorialis runden diesen Teil ab (S. 23), wobei unverständlicherweise die Literaturhinweise zum Inhalt der Schrift erst nach den Erläuterungen gegeben werden (S. 149f.).

Nach der Einleitung präsentiert sich dann der Text in der jeweils auf einer Doppelseite abgedruckten Gegenüberstellung von lateinischem Original und deutscher Übersetzung (S. 26–89). Auf einige textkritische Erläuterungen (S. 91–94) folgen die inhaltlichen Anmerkungen (S. 95–136), die in kürzester Form Hinweise zu den jeweiligen Realien bieten und sich eher an ein breiteres Publikum denn an den ohnehin mit den behandelten Gegenständen vertrauten Fachwissenschaftler wenden, der zudem mit dem syntaktisch einfachen Latein des Ampelius keine Schwierigkeiten haben dürfte. In diesem Sinne ist die nun vorliegende zweisprachige Ausgabe des Liber memorialis für den Fachmann vor allem ob der Einleitung gewinnbringend, für den antikes Stoffgut wissbegierig aufsaugenden Laien dürfte sich dagegen auch die Übersetzung mit den Erläuterungen zum regen Gebrauch lohnen.

Anmerkungen:
1 Für die Eröffnung einer kulturwissenschaftlichen Perspektive der Liste vgl. nur Umberto Eco, Die unendliche Liste, München 2009.
2 Lateinisch-französisch in Marie-Pierre Arnaud-Lindet (Hrsg.), L. Ampelius, Aide-mémoire, Paris 1993. Eine ältere deutsche Übersetzung von Friedrich Hoffmann („Unterricht über die wissenswürdigsten Dinge“) in M. Valerius Messala Corvinus, L. Ampelius und S. Rufus (= Römische Prosaiker in neuen Uebersetzungen 57), Stuttgart 1830.

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